Die Aufgabe von Organisationen: Arbeit organisieren, nicht Mitarbeiter glücklich machen
- Sven Kramer
- 28. März
- 3 Min. Lesezeit

Organisationen sind komplexe soziale Systeme, die oft missverstanden werden. Viele Menschen glauben, dass sie dazu da sind, um ihren Mitgliedern ein angenehmes Arbeitsumfeld zu schaffen oder individuelle Zufriedenheit zu garantieren. Doch das ist ein Trugschluss. Organisationen existieren nicht, um Mitarbeiter glücklich zu machen – sie haben eine viel spezifischere Aufgabe: Sie organisieren Arbeit, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Dabei entstehen Strukturen, Prozesse und Kommunikationswege, die es ermöglichen, dass aus individuellen Beiträgen etwas Größeres entsteht.
Die systemische Perspektive: Organisationen als autopoietische Systeme
Niklas Luhmann, einer der bedeutendsten Systemtheoretiker, beschreibt Organisationen als autopoietische soziale Systeme. Das bedeutet, dass sie sich selbst erschaffen und durch Kommunikation aufrechterhalten. Sie sind keine Ansammlung einzelner Menschen mit persönlichen Bedürfnissen, sondern operieren nach eigenen Regeln, die durch Entscheidungen strukturiert werden.
Organisationen stellen daher nicht die Bedürfnisse der Mitarbeiter in den Mittelpunkt, sondern die Frage, wie Arbeit effizient und zielführend organisiert werden kann. Mitarbeiter sind Teil des Systems, aber nicht dessen Zweck. Wer dies verkennt, wird zwangsläufig in Konflikte geraten – sei es als Führungskraft oder als Angestellter.
Struktur bestimmt Handlungsspielräume
Arnold und Fritz B. Simon haben in ihren Arbeiten zur systemischen Organisationsentwicklung herausgestellt, dass Organisationen nicht einfach durch die Summe der Menschen definiert werden, die in ihnen arbeiten. Vielmehr entstehen Strukturen, die das Verhalten der Mitglieder prägen.
Das bedeutet, dass Organisationen nicht flexibel auf jeden individuellen Wunsch reagieren können, ohne ihre Funktionsweise zu gefährden. Stattdessen sind sie darauf angewiesen, klar definierte Regeln, Rollen und Entscheidungsprozesse zu etablieren. Diese sorgen dafür, dass nicht das Chaos individueller Bedürfnisse regiert, sondern ein geordnetes Zusammenspiel möglich wird.
Sinn und Zweck von Organisationen: Die Emergenz des Ganzen
Der vielleicht entscheidendste Punkt ist, dass Organisationen die Aufgabe haben, etwas Größeres entstehen zu lassen, als einzelne Personen allein bewirken könnten. In der Systemtheorie spricht man hier von Emergenz – also dem Phänomen, dass durch die Interaktion einzelner Elemente neue Qualitäten entstehen, die nicht auf die Summe der Teile reduziert werden können.
Eine gut geführte Organisation erschafft Mehrwert, sei es durch innovative Produkte, effiziente Dienstleistungen oder gesellschaftlichen Fortschritt. Sie tut dies, indem sie Strukturen schafft, die es einzelnen Akteuren ermöglichen, sich zu koordinieren und gemeinsam zu wirken.
Warum es nicht um Glück geht – sondern um Sinn
Das bedeutet nicht, dass Organisationen rücksichtslos gegenüber ihren Mitarbeitern sein sollten. Im Gegenteil: Eine Organisation, die die Motivation und Leistungsfähigkeit ihrer Mitglieder unterstützt, wird erfolgreicher sein. Doch Zufriedenheit oder Glück sind keine primären Ziele, sondern eher Nebeneffekte einer gut funktionierenden Struktur.
Mitarbeiter finden nicht dann Erfüllung, wenn eine Organisation versucht, es allen recht zu machen. Sie finden Erfüllung, wenn sie ihren Beitrag zu einem sinnvollen Ganzen leisten können. Die Rolle der Organisation ist es daher, diesen Rahmen bereitzustellen – nicht, individuelle Bedürfnisse zu befriedigen.
Sichtbarkeit in der Organisation: Die Rolle des Einzelnen
Wer in einer Organisation erfolgreich sein will, muss verstehen, dass Sichtbarkeit nicht von allein entsteht. Gerade weil Organisationen darauf ausgerichtet sind, Arbeit zu organisieren und nicht individuelle Bedürfnisse zu erfüllen, ist es entscheidend, sich selbst gezielt sichtbar zu machen.
Luhmann beschreibt Kommunikation als den zentralen Mechanismus, mit dem Organisationen operieren. Das bedeutet, dass derjenige wahrgenommen wird, der aktiv in diesen Kommunikationsfluss einsteigt. Wer sich nicht positioniert, läuft Gefahr, in der Unsichtbarkeit zu verschwinden – selbst wenn seine Leistung hervorragend ist.
Allerdings gibt es auch Organisationen, die bewusst Mechanismen entwickeln, um Sichtbarkeit zu steuern oder sogar zu verhindern. Machtstrukturen, Hierarchien und unausgesprochene Regeln können dazu führen, dass bestimmte Personen oder Leistungen nicht ins Rampenlicht geraten. Das bedeutet: Sichtbarkeit ist keine Einbahnstraße. Sie kann gefördert, aber auch blockiert werden.
Trotzdem bleibt es in der Eigenverantwortung des Einzelnen, zumindest den Versuch zu unternehmen, sich sichtbar zu machen. Denn wer nichts tut, wird garantiert übersehen. Auch wenn eine Organisation Hürden aufstellt, sollte man versuchen, diese zu erkennen und sich strategisch zu positionieren.
Sichtbarkeit in der Organisation erfordert:
Klare Kommunikation der eigenen Kompetenz: Was kann ich beitragen? Wofür stehe ich?
Strategische Selbstpräsentation: Wie bringe ich meine Arbeit ins Bewusstsein relevanter Entscheidungsträger?
Proaktive Interaktion: Wer gehört zu den Schlüsselpersonen in meiner Organisation, und wie baue ich gezielt Netzwerke auf?
Bewusstsein für organisationale Mechanismen: Welche ungeschriebenen Regeln beeinflussen Sichtbarkeit? Wo gibt es Barrieren, die man geschickt umgehen kann?
Fazit: Arbeit organisieren und Sichtbarkeit strategisch gestalten
Organisationen existieren, um Arbeit zu strukturieren und gemeinsame Ziele zu erreichen. Sie sind keine Wohlfühl-Oasen, sondern hochkomplexe Systeme, die klare Strukturen und Regeln benötigen, um effizient zu funktionieren.
Wer innerhalb einer Organisation erfolgreich sein will, sollte daher nicht darauf warten, dass die Organisation ihn automatisch anerkennt oder sichtbar macht. Gleichzeitig kann nicht jeder allein durch Eigeninitiative alle Hürden überwinden – doch es bleibt die eigene Verantwortung, es zumindest zu versuchen.
Der klügste Ansatz ist es daher, der Organisation ein Angebot zu machen: Leistungen klar zu kommunizieren, Mehrwert zu erzeugen und strategisch sichtbar zu sein. Denn nur wer aktiv handelt, kann überhaupt eine Chance haben, wahrgenommen zu werden – auch wenn am Ende immer das System entscheidet, was es davon aufnimmt.
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